Es gibt bereits eine ganze Reihe von Bilderbüchern zum Thema Demenz. Dies ist ein ganz Besonderes. Es begleitet die Geschichte und innige Beziehung zwischen Enkel und Großmutter über etwa 20 Jahre: Zuerst ist es die Großmutter, die der zweijährigen Pia die Welt der Wörter erschließt. Tisch, Fenster, Wind, Fliege, Schmetterling – so bekommen die Dinge der Umwelt ihre Namen, werden im gemeinsamen Erleben wahrgenommen und benannt, bieten Inspiration, die Sprache mehr und mehr zu verfeinern. Aber nach etwa 20 Jahren Lebensgeschichte mit Erinnerungen an Früher und gemeinsamer Freude am Heute ändert sich etwas. Der Großmutter gelingt es nicht mehr, die Wörter in gewohnter Weise mit der Umwelt zu verbinden. „Die Wörter fliegen mir davon“, fürchtet sie. Aber einige bleiben auch: „Ich hab dich lieb“ zum Beispiel. Enkelin Pia – inzwischen eine junge Frau – bleibt weiterhin ihre Vertraute. Am Ende nimmt sie die Großmutter in den Arm: „Mach dir keine Sorgen, Oma. Deine Wörter sind alle zu mir geflogen!“
Das Buch kommt mit wenig Text aus und misst dabei jedem Wort Wert und Bedeutung zu. Es beschönigt den Schmerz am Verlust der Sprache nicht, findet jedoch in der zärtlichen Geste der Umarmung und des Aufgehoben seins – auch mit allem Verlorenen – ein tröstliches und würdiges Ende.
So fein und mehrschichtig, wie sich Inhalt und Sprache des Buches erweisen, wirken auch die Illustrationen mit ihrer Transparenz und Mischung aus realitätsnahen und fantastischen Elementen.
Ein Bilderbuch für Jung und Alt von großer Poesie, menschlicher Würde und Wärme!
Rezension: Susanne Brandt
Treiber, Jutta / Prieler, Nanna: Die Wörter fliegen. Nilpferd in Residenz, 2015