Unter den vielen phantasievollen Grüßen, Blumen und Dingen, die mir kürzlich zum Geburtstag ins Haus geschickt wurden, befand sich auch eine wunderschöne kleine Kuriosität, die ich anderen Freundinnen und Freunden des freien Erzählens nicht vorenthalten möchte: die Miniaturwelten von Richard Wetzel (Heilbronn), bei denen sich aus der Enge einer Streichholzschachtel die Weite der Phantasie entfaltet, sobald die enthaltenen Teilchen zu mehrschichtigen Szenen und Landschaften verbunden werden: http://www.rics-company.de/rics-company
Ausprobieren durfte ich das mit der „Kleinen Geschichte des Radfahrens“, die Einblicke gewährt in verschiedene Fahrradformen und -nutzungsmöglichkeiten aus aller Welt. Und hinter jedem Motiv, das in dem bunten Panorama nach und nach seinen Platz findet, ist eine Geschichte zu erahnen….
Das rückt die Erzähl-Welten aus der Streichholzschachtel in die Nähe von Wimmelbüchern oder Pop-up-Büchern, die ähnliche Impulse in sich tragen: lebendige Bildergeschichten ohne Worte und mehrdimensionale Papierzaubereien, die in besonderer Weise das dialogische Erzählen anregen.
Die Auswahl an Themen, die Richard Wetzel in den vergangenen 20 Jahren auf diese Weise entwickelt und umgesetzt hat, ist groß: Märchen gehören dazu, aber auch Theater- und Opern-Miniaturen oder Stadtansichten. Eher klein bleibt dagegen der Kreis der Schauenden, Staunenden und Erzählenden, die sich um eine solche Bilderwelt versammeln können. Streichholzschachteln richten sich nicht an das große Publikum, aber intensivieren umso mehr den Dialog unter wenigen: Zu zweit oder dritt rückt man zusammen, um miteinander immer wieder Neues zu entdecken und dabei ins Gespräch zu kommen…
Was mir auch gefällt: Die Erzähl-Welten behalten lange ihren Reiz, weil sie nicht irgendwann in der Ecke einstauben, sondern ganz nach Belieben nach einer gewissen Zeit wieder schadlos auseinander genommen und als Einzelteile in die Schachtel zurückgepackt werden können – um dann später neu lebendig zu werden. Da bewähren sich die ausgetüftelten Konstruktionen des Erfinders, die allein mit raffinierten Steckmechanismen funktionieren, ganz ohne Klebe und Schere auskommen und durch stabiles Pappmaterial auch mehrmaliges Auf- und Abbauen gut überstehen. Ökologisch nachhaltig und durchdacht ist das Ganze also auch!
Bleibt am Ende nur ein winziger Wunsch, der noch offen ist: In den Reigen der vielen originellen Funktions-Fahrräder aus meiner „Fahrradgeschichten-Schachtel“ hätte ein japanischer Kamishibai-Mann mit seinem Erzähltheater-Fahrrad noch sehr gut hinein gepasst. Aber auch diese neue „Streichholzschachtel-Welt“ wird ja vermutlich nicht die letzte bleiben…
Susanne Brandt