Erwärmende Begegnung in einer winterlichen Stadt prägten für mich die vier Märztage in Leipzig, die sich diesmal um drei Ereignisse rankten: Kongress Bibliothek & Information, Internationale Konferenz „Prepare for Life“ der Stiftung Lesen und Buchmesse mit den Nominierungen zum Deutschen Jugendliteraturpreis.
Zwei nicht besonders originell anmutende Fragen, die jedoch immer wieder einer Aktualisierung und vielleicht Neuorientierung bedürfen, hatte ich diesmal mit im Gepäck: Mit welchen Medien und Vermittlungswege erreichen wir welche Menschen?
Und was lässt sich darüber mit Nutzerforschung und Evaluation herausfinden?
Gewiss keine abschließenden Antworten, wohl aber wertvolle Denkanstöße, Einblicke und konkrete Ideen entwickelten sich dazu vor allem in interessanten Einzelgesprächen, im aktiven Austausch und in Vorträgen – von Frühförderung über Jugendbibliotheken bis hin zu Angeboten für alte Menschen.
Engagierte Frauen: Renate Zimmer und Wendy Cooling
Um nur einige Highlights herauszugreifen:
Prof. Renate Zimmer warb im Reigen der Eröffnungsvorträge zur Internationalen Konferenz für Offenheit, Spontanität und Phantasie, um mit und für Kinder authentische und lustvolle Sprachanlässe mit allen Sinnen und Bewegung zu entdecken. Anknüpfend an unsere seit Jahren währende Zusammenarbeit rund um das Projekt „Geschichten bewegen“ schlug sie damit zugleich eine Brücke zum zweiten Konferenztag, bei dem es wiederum mein Anliegen war, im internationalen Austausch zu bibliothekarischen Lesefrühförderprogrammen aus aller Welt an die Bedeutung von Poesie und Erzählkultur, verbunden mit Bewegung und Entdeckerlust zu erinnern. Denn – so wurde in der anschließenden Diskussion deutlich – neben Finanzierungsmodellen, Evaluation und Marketingstrategien braucht jedes Projekt zum Gelingen ein überzeugendes Maß an Charme, Leidenschaft und Visionen, damit der Funke überspringt.
Ein solches Plädoyer für die Kraft der Poesie und die Lust am Erzählen traf vor allem bei Wendy Cooling, der “Mutter” der inzwischen weltweit verbreiteten Lesestartbewegung, auf offene Ohren und begeisterte Zustimmung. Die persönliche und warmherzige Begegnung mit dieser “English Lady” war für mich eines der ganz besonderen Erlebnisse dieser Tage.
Farbiges und klingendes Europa – ein Brückenschlag von Süd nach Nord
Andere Inspirationen aus anderen Ländern schlossen sich an: So ergab sich mit Reinhard Ehgartner, dem Geschäftsführer des Österreichischen Bibliothekswerkes (www.biblio.at) ein interessanter Austausch zur Verbreitung und Förderung des Erzählens mit Kamishibai in Europa.
Und aus Italien kam der Impuls, musikalische und sprachliche Frühförderung durch interdisziplinäre Kooperationen stärker zu verknüpfen (http://www.natiperlamusica.it/npm/index.php/protagonisti/biblioteche).
Hier werden Leseförderung und musikalische Förderung in den ersten Lebensjahren eng miteinander verzahnt, so dass im Rahmen des Musikförderprogramms gezielt auf die Rolle der Bibliotheken verwiesen wird. Akteure des Lesestart-Programms in Bibliotheken werden auf diese Weise für musikalische Aspekte in der Sprachentwicklung sensibilisiert und Akteure der musikalischen Früherziehung lernen die unterstützenden und begleitenden Möglichkeiten der Bibliotheken kennen, die konkret folgende Aufgaben übernimmt:
1. Zusammenarbeit mit lokalen Gruppen der Musikerziehung
2. Aufbau eines speziellen Medienbestandes mit Büchern, CDs, Noten, Liederbüchern, die in der musikalischen Frühförderung zum Einsatz kommen
3. Verbreitung von Informationsmaterial (Poster, Broschüren) zu musikalischen Frühförder-Angeboten
4. Spezielle Tipps zu einzelnen Titeln zum Hören und Lesen aus dieser Bestandsgruppe
5. Organisation und Durchführung von Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit Musikschulen und Musikern aus der Region
6. Organisation und Durchführung von musikalischen Treffpunkten und Musik-Workshops für Kinder
7. Organisation und Durchführung von Leseförder-Veranstaltungen mit Verknüpfungen zwischen Musik und Geschichten (CD, Bilderbücher)
8. Verbreitung von Bilderbüchern mit musikalischen Aspekten in Familien mit kleinen Kindern
Das Modell aus Italien ist eine wunderbare Ergänzung und Orientierung für die hierzu in Deutschland erst in Ansätzen erprobten Aktivitäten, die am 17. April 2013 für die Bücher-Kindergärten in Bremerhaven referiert und diskutiert werden: http://www.buecher-kindergaerten.de/Termine.html.
An dieser Stelle bot die Internationale Konferenz also einen ganz konkreten Ansatzpunkt für einen Brückenschlag von Süd nach Nord mit Potential zur Weiterentwicklung….
Chancen und Grenzen der Evaluation weltweit
Um die mitunter schwierige Balance zwischen ethischen wie menschlichen Ansprüchen in der Leseförderung und finanziellen wie organisatorischen Realitäten und Sachzwängen ging es schließlich in der internationalen Round Table Diskussion zu den Chancen und Grenzen von Evaluation und Leistungsmessung. Wer sich hier einen kritischen und differenzierten Blick auf die Bedingtheit solcher Bewertungen bewahrt, die entscheidende Orientierung jedoch sensibel, manchmal auch staunend bei den Menschen sucht – alles Unberechenbare und Überraschende eingeschlossen – liegt vielleicht richtig….
Sensible Begegnungen mit Wünschen und Gefühlen
Ums Staunen und sensible Wahrnehmen geht’s auch bei den Büchern für Kinder, die in diesem Jahr zu den Nominierungen zum Deutschen Jugendliteraturpreis zählen – wie z.B. bei folgenden Titeln aus den Sparten Kinderbuch, Bilderbuch und Sachbuch http://www.djlp.jugendliteratur.org/:
„Ich wünschte” von Toon Tellegen und Ingrid Godon, “Der Rauhe Berg“ von Einar Turkowski und „Heute bin ich“ von Mies van Hout erzählen mit ganz unterschiedlichen sprachlichen und künstlerischen Mitteln von dem, was eigentlich nicht festgeschrieben werden kann, weil es zwischen den Bildern und Wörtern immer wieder neu, anders und individuell entdeckt und erdacht werden will. Offene Adressatenkreise und freie Deutungspielräume in der Begegnung mit eigenen und fremden Gefühlen und Wünschen kennzeichnen die diesjährige Auswahl in
besonderer Weise. Das gilt auch für „Make love“ als Ermutigung für Jugendliche oder für das genial einfache und zugleich hintersinnige Entlein-Buch für die Allerjüngsten.
Und wie geht es nach den ersten Lesejahren weiter?
Nach vorsichtigen Interpretationen verschiedener Umfragen greift die Mehrzahl der Mediennutzer im Jugend- und Erwachsenenalter (noch) am liebsten zum Papier – wenngleich digitale Formen und kombinierte Nutzungsweisen an Vielfalt und Attraktivität gewinnen. Ebenso gewinnt die Bibliothek als Ort und Treffpunkt klar an Bedeutung, am liebsten mit komfortablen Öffnungszeiten und guter Aufenthaltsqualität.
Reale Begegnungen, Austausch und Kommunikation bleiben – so kann man aus einigen Vorträgen und Gesprächen beim Bibliothekskongress wohl schließen – die tragenden Säulen der Informationsgewinnung und kulturellen Teilhabe.
Beziehungserfahrungen, sinnliche Erlebnisse und Orte zum Wohlfühlen wirken sich also nicht allein bei Kindern entscheidend auf Motivation und Inspiration zum Lesen, Lernen und Leben aus. Das gilt es als wichtiges Kontinuum neben wechselnden Trends und medialen Entwicklungen in Bibliotheken mit Phantasie, Herz und wachen Sinnen mehr denn je ins Spiel und ins Gespräch zu bringen.
Susanne Brandt, März 2013