Mit Kindergeschichten Mut schöpfen für Veränderungen – Gedanken zum Tag der Bibliotheken

Ich liebe die Kindheit. Das ist eine Welt, die die ganze Menschheit zusammenbringt. Alle Menschen sind ja Bürger in der Welt der Kindheit gewesen. Jeder weiß, was es heißt, ein Kind zu sein. Jeder kennt diese Welt der Freiheit, der Phantasie, der Erkundung der Natur, der Erfindung der Sprache…” 

Mit diesen Worten begründet die palästinensisch-amerikanische Autorin Ibtisam Barakat bei einem Interview mit Dr. Stephan Milich auf der Frankfurter Buchmesse 2020 in der Reihe “Weltempfang” ihr Schreiben für Kinder – oder genauer gesagt: Sie begründet es aus dem Bewusstsein des eigenen Kindseins heraus. Und sie erzählt weiter: “Ein Kind weiß, dass es dauerhafte Veränderungen gibt. Diese Perspektive des Kindes gilt es zu schützen. […] Ein Erwachsener, der sich mit der Kindheit verbunden fühlt, kann sagen: Es ist in Ordnung, Fehler zu machen und sich immer wieder zu verändern.” 

Konkret nachvollziehbar wird das zum Beispiel in ihrem Bilderbuch “Das lilafarbene Mädchen”. Speziell zu dieser Geschichte erläutert sie: “Ich habe eine reale Geschichte von einer Malerin genommen und versucht, sie ins Hoffnungsvolle zu wenden. Ich wollte dem palästinensischen Kind und Erwachsenen anbieten, nicht in der Zerstörung und Vertreibung hängen zu bleiben. Das Kind sieht, dass es mächtig genug ist zu transformieren. Sie braucht allein ihren Willen, sich zu heilen und auszudrücken. Das Kind lernt, wie die Farben interagieren, es lernt, in die Natur zu schauen und die Veränderung wahrzunehmen.”

“Nicht hängen bleiben in der Zerstörung”

Und am Ende geht sie auch auf das Erzählen und Schreiben der Kinder selbst ein: “Das ist wie ein Schlüssel: Mit den Worten können Kinder ihre eigene Geschichte erzählen und damit etwas transformieren. Sich selbst Geschichten zu erzählen – das ist eine Goldmine.”

Kindergeschichten erzählen als Transformation? Als immer wieder sich öffnende Chance der Veränderung – in der Kindheit selbst wie in der Erinnerung an das Kindsein?

Manches von dem, was sie als Frau mit Kriegs- und Fluchterfahrungen in ihrem Schreiben und Hoffen zum Ausdruck bringt, erinnert an das. was Janusz Korczak – rund 80 Jahre früher in einem anderen Teil der Welt geboren – über sein Schreiben und Erzählen für und mit Kindern in Zeiten von Krieg und Verfolgung erzählt.

Und heute? Und anderswo? Was erzählen Kindergeschichten von der Zeit und Umgebung, in der Kinder groß werden?

Transformierende Kraft durch die Vielfalt von Lebensgeschichten in Bibliotheken

Als Bibliothekarin und Autorin beschäftigt mich diese Frage immer wieder neu. Weil die Antworten darauf ganz unterschiedlich ausfallen können und es wichtig bleibt, diese Vielfalt wahrzunehmen. Weil es wichtig bleibt, in Büchern, die aus dem Leben von Kindern erzählen – ehrlich, aufrichtig, einfühlsam – diese transformierende Kraft zu erkennen: für die Lesenden wie für die, die sich davon zum Schreiben ihrer eigenen Kindergeschichte anregen lassen.

Bei einer Tagung der Akademie Sankelmark über Kinderbiographien  am 20.-22. November 2020 freue ich mich auf ein gemeinsames Nachdenken über diese und andere Fragen am Beispiel verschiedener Kinderbücher. Und auch die übrigen Vorträge der Tagung öffnen vielfältige Zugänge zu diesem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven.

Eine herzliche Einladung zum Mitdenken!

Wer speziell zu Lebensgeschichten und das biografische Erzählen in der Kinder- und Jugendliteratur mehr lesen möchte, findet in diesem Themenheft verschiedene Beiträge dazu – auch in Bezug auf die Praxis in Bibliotheken.

Susanne Brandt

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Flensburg oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt